Achtsamkeit – Die Kunst, sich selbst zu beobachten

Achtsamkeit liegt im Trend. Es gibt mittlerweile unzählige Apps, Kurse und Bücher, die uns versprechen, unser Leben damit zu verbessern. Fast scheint es, als ob Achtsamkeit ein Allheilmittel wäre. Spoiler: Das ist sie natürlich nicht! Warum wir dennoch denken, dass es sich lohnt, Achtsamkeit zu üben, und wie dir das im Alltag ohne großen Aufwand gelingen kann, darum geht es in diesem Artikel (und in der zugehörigen Podcast-Episode).

Was ist Achtsamkeit eigentlich?

Achtsamkeit hat ihren Ursprung in buddhistischen Traditionen, doch in den 1970er-Jahren brachte Jon Kabat-Zinn das Konzept in die westliche Welt und begann die Wirkung von Achtsamkeit auf die psychische Gesundheit zu untersuchen. Heute gibt es eine Vielzahl an Studien, die belegen, dass Achtsamkeit eine bedeutende Rolle im Umgang mit Stress, in der Emotionsregulation und für die psychische Gesundheit allgemein spielen kann. Deshalb ist Achtsamkeit mittlerweile Bestandteil vieler Stresspräventionskurse und psychotherapeutischer Verfahren.

Aber was genau ist Achtsamkeit? Kabat-Zinn definiert sie als die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit bewusst, im gegenwärtigen Moment und ohne Bewertung zu lenken.

Was bringt es, achtsamer zu leben?

Die Vorteile von Achtsamkeit sind vielfältig. Ein wichtiger Aspekt ist, dass sie hilft, Stress zu reduzieren und langfristig eine innere Resilienz aufzubauen. Das bedeutet, dass wir Herausforderungen des Alltags mit mehr Gelassenheit und weniger emotionaler Reaktivität begegnen können. Stell dir vor, du gerätst in eine stressige Situation – statt sofort emotional zu reagieren, schaffst du es, kurz innezuhalten, die Situation bewusst wahrzunehmen und überlegter zu handeln. Diesen „Puffer“ zwischen Reiz und Reaktion trainieren wir mit Achtsamkeit.

Mit der Zeit lernst du auch, schneller zu bemerken, wenn du in negative Gedankenspiralen gerätst. Ein Beispiel: Du denkst an eine misslungene Präsentation und plötzlich bist du in einer Endlosschleife von Selbstzweifeln gefangen. Durch Achtsamkeit kannst du erkennen, dass du abdriftest, und deine Aufmerksamkeit zurück ins Hier und Jetzt lenken. Dadurch fühlst du dich nicht nur weniger belastet, sondern du wirst auch in der Lage, positive Momente des Alltags intensiver wahrzunehmen.

Achtsamkeit fördert zudem eine wohlwollendere Haltung gegenüber dir selbst. Das kann sich positiv auf deine Beziehungen auswirken, weil du dich besser ausdrücken und deine Bedürfnisse klarer kommunizieren kannst. Indem du bewusster auf deinen Körper achtest, lernst du, auf dessen Signale zu hören und diesen als wertvolle Informationsquelle zu nutzen.

Wie lässt sich Achtsamkeit im Alltag trainieren?

Achtsamkeit lässt sich überall und jederzeit üben – ganz ohne Meditationskissen oder stilles Zimmer. Im Grunde kann jede Alltagshandlung zur Achtsamkeitsübung werden. Ob beim Zähneputzen, Geschirrspülen oder Spazierengehen: Es geht darum, deine Aufmerksamkeit ganz auf die momentane Erfahrung zu richten. Wie fühlt sich das Wasser auf deinen Händen an? Wie und wo spürst du deinen Atem?

Eine klassische Achtsamkeitsübung ist die Atembeobachtung: Du konzentrierst dich auf deinen Atem – wie er kommt, wie er geht, ohne ihn zu verändern. Oder der Body-Scan, bei dem du gedanklich durch deinen Körper wanderst und deine Empfindungen wahrnimmst, auch ohne sie zu bewerten. Dabei kann es passieren, dass du unangenehme Gefühle oder Verspannungen wahrnimmst. Anstatt diese zu verdrängen, geht es darum, sie einfach zu beobachten und ihnen Raum zu geben.

Das ist wichtig, denn Achtsamkeit bedeutet nicht, den Kopf „leer“ zu bekommen oder nur Genuss zu erleben. Es geht vielmehr darum, alles, was auftaucht, wertfrei zu betrachten – ob angenehm oder unangenehm.

Wie lange muss ich üben, bis ich etwas merke?

Vielleicht fragst du dich, wie lange es dauert, bis du von Achtsamkeit profitierst. Es gibt keine feste Regel, aber Studien zeigen, dass schon 10 bis 20 Minuten täglicher Praxis einen spürbaren Effekt haben können – oft bereits nach acht Wochen. Dabei zählt Konsistenz mehr als die Dauer. Lieber fünf Minuten täglich üben, als sich einmal in der Woche für eine Stunde zu quälen. Das macht es einfacher, Achtsamkeit als Routine in den Alltag zu integrieren.

Gibt es eine „richtige“ Art, Achtsamkeit zu praktizieren?

Solange du dich bemühst, deine Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu lenken und dabei eine offene, nicht-wertende Haltung einzunehmen, gibt es keine „falsche“ Art, Achtsamkeit zu praktizieren. Das bedeutet, dass es ganz an dir liegt, welche Übungen und welche Art der Praxis für dich am besten passen.

Wo sind die Grenzen von Achtsamkeit?

Achtsamkeit kann viel, aber eben nicht alles. Es gibt Situationen, in denen Achtsamkeit möglicherweise ungeeignet ist oder sogar negative Effekte haben kann, da sie intensive emotionale Erlebnisse auslösen oder eine Fokussierung auf negative Gedanken und Gefühle aktivieren kann. Für Menschen, die unter schweren Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen oder komplexen Traumafolgestörungen leiden, kann Achtsamkeit belastend sein, da sie das Erleben unangenehmer Gefühle oder traumatischer Erinnerungen verstärken kann. Personen mit einer dieser Erkrankungen sollten vor dem Beginn einer Achtsamkeitspraxis deswegen unbedingt ärztlichen Rat einholen! Das gilt auch für Menschen, die eine schwere körperliche Erkrankung haben oder sich in einer akuten Lebenskrise befinden.

Fazit

Achtsamkeit ist kein Allheilmittel, aber sie kann uns helfen, bewusster und entspannter durch den Alltag zu gehen. Mit regelmäßiger Übung – und das müssen keine stundenlangen Meditationssitzungen sein – lässt sich ein nachhaltiger Effekt erzielen. Und letztlich geht es nicht darum, immer alles richtig zu machen, sondern sich selbst wohlwollend wahrzunehmen, auch wenn nicht jeder Moment perfekt ist. Achtsamkeit ist eine Reise – eine, die sich lohnt.

Katja Tressel


Dieser Blogartikel begleitet die Podcastepisode „Achtsamkeit – Die Kunst, sich selbst zu beobachten“ (von „Die Psychologinnen„); verfügbar überall wo es Podcasts gibt.

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