Innere Kritik und Selbstakzeptanz
In unserem Inneren spricht oft eine Stimme, die uns kritisiert, richtet und Zweifel an unserer eigenen Wertigkeit säht. Diese innere Kritik ist ein allgegenwärtiges Phänomen, das viele von uns kennen. Doch warum haben wir überhaupt eine solche kritische Stimme? Wofür ist sie gut? Und vor allem, wie können wir lernen, unseren inneren Dialog freundlicher zu gestalten?
Warum haben wir eine innere kritische Stimme?
Die innere kritische Stimme ist ein Überbleibsel evolutionärer Mechanismen unseres Gehirns. In einer Welt, in der Gefahren lauerten, war es wichtig, Fehler nicht zweimal zu begehen, Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und den Anschluss an eine Gruppe nicht zu verlieren, um unser Überleben zu sichern (Mehr dazu in Die Psychologinnen Episode 1 „Was ist los im Kopf“). Die innere kritische Stimme hat somit grundsätzlich eine schützende Funktion. Sie kann jedoch auch zu einer unerbittlichen Quelle von Selbstzweifeln und einem negativen Selbstbild werden, dass unser Leben negativ beeinflusst.
Oft entwickelt sich die innere Kritik bereits in der Kindheit. Wir internalisieren die Kritik von Eltern, Lehrern und anderen Autoritätspersonen, um uns vor Schmerz und Ablehnung zu schützen. Die Angst, als inakzeptabel betrachtet und verlassen zu werden, treibt diese kritische Stimme an und wir geißeln uns, bevor andere es tun. Zudem variieren die Inhalte der inneren Kritik je nach kulturellen Erwartungen und gesellschaftlichen Standards.
Wofür ist innere Kritik gut?
Obwohl die innere Kritik oft als belastend empfunden wird, erfüllt sie auch wichtige Funktionen. Sie ist eng mit unserem Selbstwertgefühl verbunden und dient teilweise als Mechanismus der Selbstregulation. Ein gewisses Maß an Selbstkritik ist normal und kann uns helfen, unsere Ziele zu verfolgen und uns persönlich weiterzuentwickeln. Die Abwesenheit von Selbstkritik und wollkommende Selbstzufriedenheit hemmt die Motivation Neues auszuprobieren und Veränderung zu wagen. Potentielle Risiken und Folgen unseres Verhaltens werden ausgeblendet. Kritik ist jedoch nicht gleich Kritik: das eigene Handeln zu hinterfragen muss nicht mit abwertender und verletzender Sprache geschehen. Wir können unserem inneren Kritiker die Kunst des Feedbackgebens beibringen. Das Leben ist schöner mit einer wohlwollenden Mentorin statt eines Bullys im Kopf.
Wie uns innere Kritik hemmt.
Abgesehen davon, dass das Wohlbefinden stark eingeschränkt wird, hindert uns eine übermäßig gemeine, unablässige innere kritische Stimme daran, unsere Ziele zu verfolgen. Unsere Entscheidungsfindung und Kreativität werden durch Stress, Angst und Scham beeinträchtigt (mehr dazu in „Die Psychologinnen Folge 2 „Stress lass nach!“).
Auch von bereits getroffenen Entscheidungen versucht uns unsere innere kritische Stimme abzubringen, sollten sie uns aus unserer Komfortzone bringen. Dies kostet viel Energie und mentale Kapazitäten. Unentschlossenheit bringt Unsicherheit und dies bedeutetet mehr Stress und Angst und oft Rückzug und noch mehr Selbstzweifel. Ein Teufelskreis.
Was können wir tun, um unseren inneren Dialog freundlicher zu gestalten?
Wenn wir uns von der Idee lösen, dass wir alles glauben müssen, was wir denken, schaffen wir Distanz zu düsteren Gedanken über uns selbst. Es kann hilfreich sein, der inneren Kritikerin einen Namen zu geben und sie als eine eigenständige Persönlichkeit zu betrachten. Stelle dir vor, wie sieh aussieht und warum sie so ist wie sie ist. Im Grunde möchte sie dich beschützen und ist stark von Angst getrieben. (Ängste haben dabei die Tendenz wage und dramatisch zu sein, ein spezifisches Hinterfragen kann beruhigend werden.) Wir können mit der Kritikerin reden, ihr tröstend zusprechen und uns entscheiden, ob wir ihre Einschätzung der Situation und der Welt teilen wollen. Kritik an uns selbst, sollte wie auch gegenüber Dritten spezifisch und verhaltensbezogen sein. Erinnere sie stetig daran. Es braucht Zeit dies zu lernen. Außerdem empfehle ich Erwartungen und Standards an denen wir uns messen grundsätzlich zu hinterfragen, sind sie wirklich realistisch und erstrebenswert?
Essenziell ist es, dem inneren Kritiker einen inneren Champion gegenüberzustellen, dem wir so oft es geht, das Mikro reichen. Die Art und Weise, wie und ob wir Komplimente annehmen, spiegelt wider, ob wir Übung darin haben, uns selbst zu ermutigen oder zu loben. Es kann einfacher sein, in anderen Menschen das gute zu sehen und sich in authentischen, ernst gemeinten aufbauenden Kommentaren zu üben. Früher oder später sollte es jedoch ein Automatismus werden, an seinem Spiegelbild nie ohne ein nettes Wort vorbeizugehen.
Die Bewältigung unseres inneren Kritikers senkt das Stressniveau in unserem Körper, was zu besserem Schlaf, einer positiveren Stimmung und insgesamt einer höheren Lebensqualität führt. Es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns Möglichkeiten schaffen und ergreifen, da wir uns nicht mehr von unserer eigenen Selbstkritik zurückhalten lassen.
Die Praxis der Selbstakzeptanz und Selbstmitgefühl ist ein kontinuierlicher Prozess, der Übung erfordert. Es geht darum, sich bewusst zu machen, dass wir nicht perfekt sein müssen. Fehler und Misserfolge sind ein unausweichlicher Teil des Lebens, sie müssen unseren Selbstwert nicht bedrohen. Indem wir lernen, all unsere noch so kleinen Bemühungen und Erfolge zu feiern, uns selbst Trost zu spenden und Unbehaglichkeit auszuhalten, können wir unseren inneren Dialog freundlicher gestalten. Auf diese Weise haben wir mehr Kraft und Mut authentische Entscheidungen für unser Leben zu treffen und mutig unseren Weg zu gehen.
Julia Pouly
Gerne begleite ich dich durch 1:1 online Coaching. Anfragen gerne an hello@juliapouly.com
Dieser Blogartikel begleitet die Podcastepisode „Die innere kritische Stimme“ (von „Die Psychologinnen„), verfügbar überall wo es Podcast gibt.