Warum machen wir uns Gedanken, was andere über uns denken? Warum fühlt es sich so unangenehm an, etwas Neues zu wagen? Warum hadern wir mit uns auf der Couch statt einfach zum Sport zu gehen? Was ist eigentlich los in unseren Köpfen? Was passiert da und wie beeinflusst es unser Erleben und Verhalten?
Bei dem Versuch, uns selbst besser zu verstehen, stolpern wir oft über ein grundlegendes Missverständnis bezüglich unserer Veranlagung: Das Erreichen von Glück und Zufriedenheit steht biologisch nicht im Vordergrund. Auch durch Millionen von Jahren der Evolution hat sich die Programmierung unseres Gehirns nicht geändert. Die höchsten Ziele sind wie eh und je Überleben und körperliche Unversehrtheit.
Die Mechanismen, die in unserem Kopf wirken, sind nicht darauf ausgerichtet uns zur langfristigen Zufriedenheit zu verhelfen, sondern in erster Linie dafür da uns zu schützen. Aus diesem Blickwinkel macht vieles, das wir als Selbstsabotage erleben, plötzlich Sinn. Es sind rührende Versuche unseres Gehirns uns zu schützen.
Unsere Umwelt hat sich in den letzten Jahrhunderten wesentlich schneller verändert, als die Entwicklung unseres Gehirns nachkommen konnte. Um besser zu verstehen, warum wir denken wie wir denken, ist es hilfreich, unser Erleben und Verhalten im Kontext eines Steinzeitmenschen einzuordnen.
Unser Überleben wird durch drei Ziele gefördert
- Gefahr vermeiden: Unser Gehirn tut alles dafür, dass wir körperlich unversehrt bleiben und einen Fehler nicht zwei Mal machen. Außerdem gibt ein ausgeklügeltes Alarm System, das uns davor bewahren möchte, uns in Gefahr zu begeben: die Angst.
- Zugehörigkeit zu einer Gruppe sichern beziehungsweise Ausschluss aus der Gruppe vermeiden: In Urzeiten war ein einsamer Mensch schnell aufgeschmissen und das Überleben in Gefahr. Es ist also ganz natürlich und aus evolutionärer Perspektive überlebenswichtig, dass wir uns Gedanken darüber machen, was andere über uns denken. Scham ist hier ein wichtiger Mechanismus, der uns dazu bewegt uns an die Gruppennorm anzupassen.
- Energie sparen: Dass wir manchmal faul sind und es schwierig sein kann sich aufzuraffen ist sehr nützlich. Unser Steinzeitgehirn nimmt keine Mahlzeit als Selbstverständlichkeit hin. Gewieft bewahrt es uns davor Energie zu vergeuden. Dass für fast alle Menschen Essen jederzeit ohne großen Aufwand verfügbar ist, glaubt es noch nicht wirklich und bereitet sich lieber auf schlechte Zeiten vor.
In der Struktur unseres Gehirns spiegelt sich die evolutionäre Geschichte wider, die vor 650 Millionen Jahren mit den ersten Neuronen begann. Während sich einige Teile unseres Gehirns im Laufe von Millionen von Jahren kaum verändert haben, wurde es kontinuierlich erweitert und weiterentwickelt. Unser Gehirn unterscheidet sich also nicht radikal von dem der Reptilien, sondern ist vielmehr eine Integration des Reptiliengehirns in ein größeres Gehirn mit zusätzlichen, fortgeschrittenen Merkmalen.
Wie bei Fischen reguliert unser Hirnstamm grundlegende Körperfunktionen wie Herzschlag und Atmung. Doch im Gegensatz zu ihnen verfügt nur der Mensch über die Fähigkeit zu sprechen, was auf eine weiterentwickelte Großhirnfunktion hinweist.
Viel Forschung wurde betrieben, um die einzelnen Bereiche des Gehirns unterschiedlichen Funktionen zuzuordnen. Einem Missverständnis gilt es jedoch vorzubeugen: unser Gehirn verarbeitet und speichert nicht alle »objektiven« Fakten der Umgebung wie eine Videokamera. Dies wäre viel zu aufwendig. Unsere Aufmerksamkeit ist begrenzt.
Unser Gehirn testet Hypothesen. Wir gehen nicht neutral in der Welt umher, sondern immer mit einer vorgefertigten Annahme, die laufend überprüft wird.
Dabei beeinflussen unsere Gedanken und Glaubenssätze, die wir im Laufe unseres Lebens trainiert haben, wie wir die Welt sehen. Gelbe Postkästen fallen uns nur dann auf, wenn wir sie aktiv suchen, ansonsten entgehen sie unserer Wahrnehmung. Dazu gibt es dieses klassische Experiment von Simons und Chabris von 1999: https://youtube.com/watch?v=vJG698U2Mvo
Dieser Vorgang geschieht oft, ohne dass es uns bewusst ist. Allein ob wir die Welt als freundlichen oder gefährlichen Ort beurteilen, wird beeinflussen was uns im Alltag in unserer Umwelt auffällt und in Erinnerung bleibt. Wir sind diesem Mechanismus jedoch nicht hilflos ausgeliefert. Unsere Gedanken und Theorien über die Welt lassen sich durch gezielte Aufmerksamkeit und Reflexion aufdecken (in Eigenregie oder durch Coaching oder Therapie). Die gute Nachricht ist: unser Gehirn ist veränderbar! Ein Leben lang kann es zu Umstrukturierung (Neuroplastizität) und zur Erschaffung neuer Neurone (Neurogenese) sowie Neuronenverbindungen kommen. Wir können also nicht nur Gitarre spielen lernen, sondern auch, die Welt und uns selbst anders zu sehen und sogar unsere eigene Lebensgeschichte neu interpretieren.
Manchmal ist es erschütternd herauszufinden, welche Gedanken in unserem Kopf herumschwirren, wenn wir genau hinschauen. Dann hilft es, sich die evolutionären Ursprünge unseres Gehirns und unserer Gedankenwelt in Erinnerung zu holen. Scham, kritische innere Stimmen, Angst und Nervosität haben alle die gute Absicht unser Überleben, unsere Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder unsere Energie zu sichern. Ist das nicht rührend? Verurteile dich also nicht für kritische Gedanken. Es ist natürlich, dass du so denkst, es muss aber nicht zwangsläufig bei diesen Mustern bleiben.
Die erste Folge »Was ist los im Kopf?« unseres Podcasts »Die Psychologinnen« beleuchtet das Thema noch genauer. Höre sie dir jetzt an, teile sie und bewerte uns gerne, wenn es dir gefallen hat.
Auch unsere Stressreaktionen sind dafür optimiert, dass wir in der Wildnis überleben und leiten uns im modernen Alltag manchmal fehl. Auf das Thema Stress gehen wir detailliert in unserer 2. Podcastfolge »Stress, lass nach!« ein. Ihr findet sie überall, wo es Podcasts gibt.
Julia Pouly